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Schluss mit Meinungsvielfalt und Zugangsoffenheit?

Stuttgarter Wochenblatt vom 27. Mai 2004

Klage gegen Lizenzverfahren - Durch Sendezeiteinbußen droht dem Freien Radio Stuttgart finanzieller Ruin

OSTHEIM - Unabhängig, eigensinnig, selbstbestimmt - das Freie Radio mit Sitz in der Rieckestraße am Stöckach ist Stuttgarts einziger nichtkommerzieller privater Hörfunksender.
Das ehrenamtlich betriebene Radioprojekt hat nun Klage beim Stuttgarter Verwaltungsgericht eingelegt: Seit dem 1. Januar 2004 muss das "Freie Radio für Stuttgart" (FRS) seinen Sendeplatz mit "HoRadS", dem neuen Hochschulradio Stuttgart teilen - eine juristisch nicht haltbare Entscheidung, da ist man sich beim FRS sicher.

Auch wenn die Radiomacher praktisch ausschließlich ehrenamtliche Laien sind: In der ganzen Region gibt es keinen Sender mit einer vergleichbaren Programmvielfalt, der mal lyrisch, mal sportlich, mal witzig und mal fremdsprachlich daherkommt - aber immer anspruchsvoll und komplett frei von Werbung.

Insgesamt 50 Redaktionen sind es, die ihre Sendezeit ganz nach eigenem Belieben gestalten können. Doch freies Radio von der Frühstückssendung bis zur Mitternachtslounge, sieben Tage die Woche - das war einmal. Turnusgemäß wurde die Frequenz des FRS auf 99,2 MHz UKW von der Landesanstalt für Kommunikation (LfK) im März 2003 neu ausgeschrieben.

Auch das FRS bewarb sich fristgerecht, um den Erhalt seines Vollprogramms zu sichern - und erhielt eine Einladung zu einem Verhandlungsgespräch: Das "Freie Radio" wurde vor die Alternative gestellt, entweder einen "freiwilligen Kooperationsvertrag" zu akzeptieren, den die LfK und Neubewerber HoRadS bereits vereinbart hatten, oder Sendezeit zu verlieren. "Dazu war natürlich erst einmal niemand bereit", so Jörg Munder, Vorstandsmitglied beim FRS. In einseitiger Absprache zwischen LfK und HoRadS wurden dann Sendezeiten vereinbart, in denen das FRS seinen angestammten Platz zu räumen hatte. Der Bescheid kam im Oktober: HoRadS wurden 32 Stunden Sendezeit zugesprochen - sogar 14 Stunden mehr, als dieser ursprünglich beantragt hatte. Doch dies ist nur einer der Gründe, wieso das FRS nun vor Gericht zieht.

Ausgeschrieben wurde die Frequenz für eine nichtkommerzielle Lizenz, die Meinungsvielfalt und Zugangsoffenheit garantiert.
Dies unterscheidet die Lizenz von anderen nichtkommerziellen Projekten wie beispielsweise den sogenannten Lernradios: Dabei handelt es sich sozusagen um "Ausbildungsbetriebe" - Medienhochschulen müssen schließlich eine Möglichkeit schaffen, das Radiomachen unter realistischen Bedingungen erlernen zu können. Hier kann nicht jeder kommen und einfach Sendungen gestalten. Der Zugang ist auf Studierende und Mitarbeiter der Hochschule beschränkt, die ein hochmodernes Studio zur Verfügung haben, von Dozenten betreut werden und mit ihrer Sendetätigkeit Scheine für das Studium erwerben.

Um Zugangsoffenheit zu signalisieren, wurden an HoRadS neben der Hochschule der Medien auch noch die Universität Stuttgart, die Staatliche Hochschule für Musik und darstellende Kunst und der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband beteiligt.

Bestimmend in der technischen Umsetzung und der inhaltlichen Sendebegleitung ist jedoch die Hochschule der Medien. "Durch die Aufnahme der drei weiteren Organisationen hat man sich schnell noch den Mantel der zumindest teilweisen Zugangsoffenheit umgehängt, ohne dass die Frage des Lernradios in die Prüfung mit eingebracht werden musste", urteilt FRS-Sprecher Oliver Hermann.

Zwar hat man es durch interne Umschichtungen geschafft, dass keine Redaktion und keine Sendung komplett geopfert werden mussten. Auf spezielle Sendeplätze konnte jedoch nicht immer Rücksicht genommen werden, was teilweise zu skurrilen Resultaten führt: So läuft das eigentlich als Morgensendung konzipierte "Daybreak" jetzt freitags abends. Dazu kommt die Frage des Geldes: Bezogen auf die Sendezeit stehen den nichtkommerziellen Lizenznehmern Zuschüsse der LfK zur Verfügung. Mit einem Vollprogramm wie bislang wäre das FRS auch weiterhin finanziell gesichert gewesen. "Mit der jetzt getroffenen Entscheidung verlieren wir jährlich 7.200 Euro", rechnet Schatzmeisterin Birgit Breuning vor. "Damit ist das FRS langfristig nicht mehr finanzierbar."

Auch wenn die Mitarbeit ehrenamtlich ist und viele ihre privaten Mittel in die Gestaltung der Sendungen einbringen: Studiomiete, Strom und die notwendige Technik müssen regelmäßig bezahlt werden. Nach aktuellen Schätzungen droht dem Sender 2006 die Pleite - trotz wachsender Hörerzahl. Ein Ausweg wären neue Vereinsmitglieder, die das Radioprojekt mit ihren Beiträgen über Wasser halten oder großzügige Spenden. Doch bis zum Jahresende müssten etwa 150 Neumitglieder gefunden werden: "Für ein fast ausschließlich ehrenamtlich betriebenes Projekt, das bereits erhebliche Arbeit kostet und damit auch Zeitressourcen verschlingt, eine nicht schaffbare Hürde", meint Breuning.

Von der LfK sind die Radiomacher zutiefst enttäuscht: "Die Finanzierbarkeit der Neuregelung ist offensichtlich nicht überprüft worden." Nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens, das ("wie erwartet") keine neuen Ergebnisse brachte, will das FRS nun vor dem Verwaltungsgericht weiterkämpfen.

"Die Entscheidung ist juristisch unter falschen Voraussetzungen gefallen", so Vorstandsmitglied Anna Schmidt-Oehm. Ein Termin für die Verhandlung steht noch nicht fest.
msb