Feature zu Sant´ Anna di Stazzema - LfK stellt endlich medienaufsichtliches Verfahren gegen RDL ein
Pressemitteilung Radio Dreyeckland, 28.07.2025
Täterschützerschutz? - Landesanstalt für Kommunikation führt Verfahren gegen Radio Dreyeckland wegen kritischer Sendung über ungesühnte NS-Verbrechen

Die Landesanstalt für Kommunikation (LfK), die u. a. für die Freien Radios in Baden-Württemberg zuständige Medienaufsichtsbehörde, hat gegen Radio Dreyeckland Freiburg wegen eines kritischen Satzes über die mangelnde Strafverfolgung von NS-Verbrechen in einer Sendung1 ein Verwaltungsverfahren angestrengt, das nun nach über sechs Monaten endlich eingestellt wurde. Das Verfahren zeigt, wie verbissen deutsche Behörden auch 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz allen Lippenbekenntnissen zum Trotz noch an der deutschen Schuldabwehr arbeiten.
Am 12. August 1944 ermordeten Mitglieder der Waffen-SS in dem toskanischen Bergdorf Sant’ Anna di Stazzema grausam über 560 Menschen, Zivilist*innen, darunter auch viele alte Menschen und Kinder. Ein gigantisches Verbrechen und zugleich nur eines von vielen ähnlichen deutschen Massakern, vom Massenmord in den deutschen Vernichtungslagern ganz zu schweigen.
Nach dem Krieg erfuhren die Überlebenden nicht etwa Unterstützung und Gerechtigkeit. Vielmehr verweigerte und verweigert die Bundesrepublik mit hanebüchenen Winkelzügen eine Entschädigung2 und schützte zugleich stets die Täter. Die detaillierte Dokumentation der Alliierten zu dem Verbrechen war zunächst jahrzehntelang in Italien unter Verschluss. Erst Mitte der 90er wurden die Akten geöffnet und daraufhin begannen Strafverfahren vor italienischen Militärgerichten. So auch zu Sant’ Anna di Stazzema: 2005 wurden alle zehn noch lebenden Angeklagten zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Deutschland lieferte aber ebenso wie in anderen Fällen die verurteilten Täter nicht aus. Eine Strafverfolgung in Deutschland wäre zu diesem Zeitpunkt teilweise noch möglich gewesen, wobei die noch lebenden Befehlshabenden der verantwortlichen Einheiten bereits ein hohes Alter erreicht hatten. Es war also klar, dass die Zeit drängte, hätte man sie noch juristisch zur Verantwortung ziehen wollen. Die zuständige Stuttgarter Staatsanwaltschaft ermittelte jedoch zehn Jahre lang, von 2002 bis 2012 - um schließlich das Verfahren aufgrund fragwürdiger Argumente3,3a,3b einzustellen.
Dieses Vorgehen wurde damals öffentlich kontrovers diskutiert; es gab Proteste und kritische Berichte in verschiedenen Medien4. Der damalige Justizminister Stickelberger (SPD) geriet ebenfalls in die Kritik, da er die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ohne gute Begründung verteidigte. Auch RDL hat berichtet5,5a. Später hob das Oberlandesgericht Karlsruhe den Einstellungbescheid auf; möglich war das aber nur noch für einen einzigen Beschuldigten, da er als letzter noch am Leben war. Das Verfahren gegen ihn wurde später aus gesundheitlichen Gründen eingestellt.
80 Jahre nach dem Massaker von Sant’Anna di Stazzema hat Radio Dreyeckland das Feature „Mai più Sant’Anne – nie wieder Sant’Anna!“6 veröffentlicht. Darin kommen u. a. Überlebende zu Wort, und die ausbleibende Bestrafung der Täter wird thematisiert. Ergänzend zu einem Interview mit der Anwältin der Nebenklage im Stuttgarter Verfahren, Gabriele Heinecke, wird erklärt: „2002, also weitere 6 Jahre später, wurden die Ermittlungen von Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler in Stuttgart übernommen. Dieser verschleppte die Ermittlungen, um das Verfahren nach 10 Jahren mangels Tatverdacht einzustellen. Die Täter alterten unbehelligt, 7 von 14 Beschuldigten waren 2012 schon verstorben. Häußler ermöglichte die Einstellung des Verfahrens, indem er die Taten als verjährenden Totschlag bewertete und keine individuelle Schuld feststellte. Nach dieser juristischen Auslegung habe sich das Massaker mutmaßlich spontan vor Ort ereignet.“
Die Autor*innen haben sich mit ihrem Feature im November 2024 für den LfK-Medienpreis beworben, aufgrund mangelnder Einreichungen in ihrer Sparte wurde ihr Beitrag jedoch nicht zur Bewertung angenommen. Statt dessen eröffnete die LfK im Januar 2025 ein Verwaltungsverfahren gegen RDL. Der Grund: „Verdacht des Verstoßes gegen journalistische Grundsätze“. „Dabei fällt der Satz, der zuständige Oberstaatsanwalt habe das Verfahren verschleppt, um es später einzustellen“, monierte das anonyme „Team Aufsicht“ der LfK. Dadurch könnten die journalistischen Grundsätze „der Prüfung von Nachrichten auf Wahrheit und Herkunft“ sowie die „Bestimmungen über den Ehrschutz“ verletzt worden sein. Zu Unrecht wird in dem Schreiben bemängelt, der Vorwurf der Verschleppung werde ohne Begründung und Kontext in den Raum gestellt. Die LfK drohte mit „Aufsichtsmaßnahmen – etwa eine förmliche Beanstandung bestimmter Sendeanteile“. RDL forderte Akteneinsicht und lieferte mit Unterstützung des Anwalts Benjamin Lück eine Stellungnahme. Daraufhin brauchte es ein halbes Jahr und mehrere Nachfragen, bis die LfK am 16. Juli endlich mitteilte, das Verfahren sei eingestellt.
Die LfK erkennt nun an, dass es sich bei dem strittigen Satz um eine „zulässige das Hintergrundgeschehen bewertende zusammenfassende Stellungnahme“ handle. „Schließlich ist zu berücksichtigen“, so die LfK, „dass das Recht, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen auch scharf kritisieren zu können, zum Kernbereich der Meinungsfreiheit gehört und deren Gewicht insofern besonders hoch zu veranschlagen ist.“
RDL begrüßt die Einstellung des Verfahrens. Dennoch bleibt ein schaler Nachgeschmack: Nicht nur beharrt die LfK mit der Formulierung „...möge [die Äußerung] auch scharf und die namentliche Nennung des Oberstaatsanwaltes nicht angebracht erscheinen“ indirekt noch in gewissem, verringertem Maß auf ihrem ursprünglichen Vorwurf. Unbefriedigend ist auch, dass aus den Akten unklar bleibt, wer oder was das Verfahren überhaupt ausgelöst hat. Auch schwebte das Verfahren mit einem guten halben Jahr Dauer viel zu lange über RDL und der engagierten Gruppe der Sendungsproduzent*innen. Am schwersten wiegt aber – trotz des positiven Ausgangs – dass das Verfahren überhaupt eröffnet wurde.
Erst das Massaker, dann der Schutz der Täter - und dann die bürokratische Gängelung derer, die diese Missstände anprangern. Heute, in einer Zeit, in der immer weniger Zeitzeug*innen noch am Leben sind, in der die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert werden und zunehmendes Unwissen darüber herrscht, in der Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch sind, ist dies eine befremdliche Art der Medienaufsicht.
Die Erfahrung, dass kritische Äußerungen derart leicht zu einem medienrechtlichen Aufsichtsverfahren führen können, droht auch in Zukunft Sendungsmachende in der Wahl ihrer Themen und dem Mut zur kritischen Berichterstattung einzuschüchtern. Das ist nicht akzeptabel.
Das Feature „Mai più Sant’ Anne – Nie wieder Sant’ Anna!“ ist auf der Website von Radio Dreyeckland unter https://rdl.de/beitrag/mai-pi-santanne-nie-wieder-sant-anna nachhörbar.
Radio Dreyeckland, 28.07.2025
1 https://rdl.de/beitrag/mai-pi-santanne-nie-wieder-sant-anna
2 https://rdl.de/beitrag/deutsche-reue-und-zwar-umsonst-elemente-des-ents…
3 https://www.die-anstifter.de/2013/04/gutachten-widerlegt-einstellungsve…. In den Charakter der
Ermittlungstaktik der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gibt auch ein Interview mit der damaligen Sprecherin der
Stuttgarter Staatsanwaltschaft einen Eindruck (2. Audio): https://rdl.de/beitrag/10-massenm-rder-der-divison-
reichsf-hrer-ss-wegen-massaker-sant-nna-di-stazzema-laspezia. Siehe außerdem auch
https://www.die-anstifter.de/2014/01/santanna-di-stazzema-generalamnest….
4 z. B. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.nazi-massaker-sant-anna-blamag…-
417e-8555-4687620b4f82.html.
5 https://rdl.de/beitrag/ns-massaker-von-sant%03anna-di-stazzema-stuttgar…-
erheben, https://rdl.de/beitrag/verfahren-wegen-ss-massaker-santanna-di-stazzema…
%C3%A4uschung-bei-den.
6 https://rdl.de/beitrag/mai-pi-santanne-nie-wieder-sant-anna