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Angriff auf die Presse- und Rundfunkfreiheit

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07.02.23, RDL veröffentlicht neue Erkenntnisse nach den Hausdurchsuchungen
Ausforschung von Radio Dreyeckland sollte sogar Hörer:innen treffen

  • Alle beschlagnahmten Geräte und Speichermedien sind zurück, aber für die weitere Auswertung gespiegelt worden
  • Landesanstalt für Kommunikation als zuständiges Aufsichtsgremium hat Meldung, die zur Durchsuchung führte, nie beanstandet
  • Staatsanwaltschaft Karlsruhe wollte von RDL-Hoster umfassende Daten, die sämtliche RDL Web-Hörer:innen getroffen hätte
  • Hausdurchsuchungen verunsichern geflüchtete Redakteur:innen, die wegen mangelnder Pressefreiheit aus ihren Herkunftsländern fliehen mussten
  • Nach dem Verbot ist Indymedia.Linksunten als Openposting-Plattform nicht mehr existent, so dass diese „Vereinigung“ nicht unterstützt werden kann

Nach den Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland am 17.01.2023 wird immer deutlicher, wie tief der Eingriff in das Redaktionsgeheimnis und die Ausforschung eines lizenzierten Rundfunkanbieters geht. Zwar wurden die Laptops, PCs, Smartphones und Speichermedien drei Tage nach der Beschlagnahme zurückgeben. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bereits angekündigt eine weitere Auswertung vornehmen zu wollen. Und das obwohl es unstrittig ist, wer die Meldung, die zu den Durchsuchungen geführt hat, veröffentlicht hat. Die nur teilweise verschlüsselten Daten wurden für eine weitere Auswertung gespiegelt.

Radio Dreyeckland präsentierte auf einer Pressekonferenz am 06. Februar neue Erkenntnisse. „Nach dem ersten Blick in die Akten wird klar, dass die Staatsanwaltschaft bei unserem Hoster sogar alle IP Adressen erfragt hat, die in letzter Zeit auf rdl.de zugegriffen haben. Das hätte nicht nur die rund 150 Sendungsmachenden betroffen, sondern alle Hörer:innen und Nutzer:innen von Radio Dreyeckland, die über die Webseite auf Programminhalte zugreifen, erläuterte RDL-Techniker Franz Heinzmann. „Hätte unser Hoster der geforderten Herausgabe nach Benutzeranmeldungen und Identifikation entsprochen, hätte er der Staatsanwaltschaft einen Zugang zu unseren Server geben müssen, so dass sämtliche Radiokommunikation der letzten 25 Jahre bei der Polizei gewesen wären.“ erklärt Heinzmann. „Nur durch die Intervention unserer Anwältin konnte das geradeso noch verhindert werden, so dass der Staatsanwalt zusagte die Anfrage an den Hoster zurückzuziehen.“

RDL Geschäftsführer Andreas Reimann machte darauf aufmerksam, dass die Meldung, die Auslöser für die Hausdurchsuchung gewesen ist, von der Landesanstalt für Kommunikation, die eigentlich für die Kontrolle von Radio Dreyeckland zuständig ist, nie beanstandet wurde. Die Staatsanwaltschaft hat die Landesmedienanstalt noch nicht einmal von den Ermittlungen informiert.

Radio Dreyeckland hat in den letzten zwei Jahren zahlreiche Projekte gemacht, erklärte Andreas Reimann. „Es gab eine Sendereihe zur Bewegung der Coronaleugner:innen; eine Podcastreihe hat sich kritisch mit der Polizeiarbeit auseinandergesetzt, jüdisches lokales Leben wurde gemeinsam mit der liberalen jüdischen Gemeinde porträtiert, die Our Voice Redaktion hat Workshops mit ukrainischen Frauen organisiert, es wurde eine inklusive Jugendredaktion aufgebaut. Kommunikation und zahlreiche Daten darüber liegen jetzt bei der Staatsanwaltschaft. Ich bin fassungslos.“

Dass eine Meldung, die rein sachlich über eine Einstellung eines Ermittlungsverfahrens informiert und ähnlich mit Link und Bild auch in anderen Medien wie der Taz aufgegriffen wurde, zu solchen Durchsuchungsmaßnahmen gegen Radio Dreyeckland führte, macht auch den Verfasser der Meldung, RDL Redakteur Fabian Kienert, fassungslos. Er sprach die Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmungen durch das Karlsruher Amtsgericht an, bei dem es in seinem Fall heißt: „Die Klärung der Frage, ob und inwieweit der Beschuldigte gegebenenfalls gemeinschaftlich mit weiteren Verantwortlichen an der Veröffentlichung mitgewirkt hat, ist zur Aufklärung der Straftat notwendig.“ „Dass es einen Verantwortlichen gibt, scheint der Staatsanwaltschaft nicht zu reichen, es geht ganz offensichtlich um Ausforschung.“ Im Amtsgerichtsbeschluss im Fall von RDL Geschäftsführer Andreas Reimann wird ausgeführt: „Die Datenträger des Beschuldigten, von denen ein Zugriff auf www.rdl.de aus möglich ist, sind als Beweismittel zur Führung des Tatnachweises von Bedeutung. Die gilt insbesondere auch zur Entlastung des Beschuldigten Reimann.“ Dass man eine Hausdurchsuchung, die bei allen Betroffenen Spuren hinterlässt, durchführt, angeblich um jemanden zu entlasten, ist absurd und völlig unverhältnismäßig.“

„Wir dachten, Deutschland ist ein Modell für Presse- und Meinungsfreiheit", erklärte Roubama Baba-Traoré von der RDL Our Voice Redaktion, die in der Pressekonferenz zahlreiche Beispiele von Kolleg:innen aufführte, die wegen Verfolgung aufgrund ihrer journalistischen Arbeit geflohen sind. Sie selber musste den Togo verlassen, da sie mehrmals körperlich angegriffen wurde, mutmaßlich im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über Korruption. „Wir dachten Radio Dreyeckland sei ein sicherer Ort.“
Dass die strafrechtlichen Ermittlungen eigentlich nie hätten beginnen dürfen, weil sich das Indymedia.Linksunten Verbot auf eine nicht mehr existente Openposting-Plattform bezieht, machte der langjährige RDL Geschäftsführer Michael Menzel deutlich. „Ein Archiv ist ein Archiv und keine Fortführung einer verbotenen Vereinigung. Im Ermittlungsverfahren geht es nicht um die angebliche Feststellung des mit Kürzel ausgewiesenen Autors, sondern um eine Strukturausforschung eines im demokratischen Rechtsstaat zugelassenen Rundfunkveranstalters, der sich aktiv für eine konsequente Umsetzung der Menschen- und Bürgerrechte einsetzt. Das ist Gesinnungsstrafrecht.“

Radio Dreyeckland fordert weiterhin die sofortige Einstellung des Ermittlungsverfahrens und die Löschung der erhobenen Daten und wird die Pressefreiheit notfalls auch juristisch bis zum Bundesverfassungsgericht verteidigen.

Radio Dreyeckland, 07.02.2023

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Pressemitteilung Radio Dreyeckland 17.01.2023

Angriff auf die Presse- und Rundfunkfreiheit -
Durchsuchungen bei Radio Dreyeckland und Mitarbeitern

Am Morgen des 17. Januar 2023 kam es zu einer Hausdurchsuchung in den Räumen von Radio Dreyeckland. Die Polizist_innen durchsuchten außerdem die privaten Wohnungen von zwei Mitarbeitern von Radio Dreyeckland, eines Redakteurs sowie des Verantwortlichen im Sinne des Presserechts für die Website von RDL. Dort wurden mehrere Computer, Mobiltelefone und Datenträger beschlagnahmt. Darauf liegen auch sensible, vom Redaktionsgeheimnis geschützte Daten. Betroffen waren auch Geräte der Lebensgefährtin eines Redakteurs, die ihren Arbeitslaptop mit sensiblen Daten im Homeoffice nutzt. Beschlagnahmungen in den Geschäftsräumen konnten in letzter Minute verhindert werden, als die Beamt*innen sich bereits in den Räumen von Radio Dreyeckland befanden.

Angeordnet wurden die Hausdurchsuchungen von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe mit dem Vorwurf, dass RDL einen "Verstoß gegen das Vereinigungsverbot gemäß §85 StGB" begangen habe. Anlass dafür sei ein Artikel auf der Website von RDL vom 30.07.2022 (1), der über die Einstellung des Ermittlungsverfahren gegen linksunten.indymedia berichtet. Der Artikel enthält einen Link auf das öffentlich zugängliche Web-Archiv der ehemaligen Plattform. Diese Verlinkung sei, so die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, eine unzulässige "Weiterverbreitung" des "verbotenen Vereins linksunten.indymedia". Das Foto einer Freiburger Hauswand, das den Artikel illustriert, stellt für die Staatsanwaltschaft Karlsruhe schließlich den Beleg dar für eine "unterstützende Tendenz", womit Radio Dreyeckland sich mit der Verlinkung zum "Sprachrohr" der "verbotenen Vereinigung" linksunten.indymedia mache. Auf dem Symbolfoto ist ein Graffito zu sehen mit dem Schriftzug "Wir sind alle linksunten" - nicht erwähnt bleibt in der Verfügung die Bildunterschrift im Artikel, in dem der Slogan journalistisch kontextualisiert wird.

Der inkriminierte Artikel ist mit einem Kürzel versehen und die Website von Radio Dreyeckland weist einen Verantwortlichen im Sinne des Presserechts aus. Selbst unter der falschen Annahme, dass die Verlinkung eine Straftat darstelle, gibt es keinen Anlass, eine Hausdurchsuchung zur "Beweissicherung" durchzuführen. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit wurde nicht gewahrt, die Freiheit der Presse in ignoranter Weise bedroht.

Das Web-Archiv von linksunten.indymedia ist öffentlich zugänglich, eine Web-Suche bei Google oder anderen Suchmaschinen liefert den Link durchgängig als erstes Suchergebnis und die Adresse ist dieselbe wie die der früheren Plattform. Ein solcher Link in einem journalistischen Artikel ist ein Quellennachweis und mit Sicherheit kein "Verstoß gegen das Vereinigungsverbot", wie die Staatsanwaltschaft argumentiert. Dokumentation und Quellenangaben sind die Grundlage jeder seriösen journalistischen Recherche und Arbeit und dürfen nicht kriminalisiert werden. Radio Dreyeckland ist dabei nicht das einzige Medium mit Verlinkungen auf linksunten.indymedia, eine kurze Recherche liefert eine Vielzahl von derartigen Links. Nicht zuletzt: Ein Presseorgan für die Inhalte verlinkter Seiten in Haftung zu nehmen ist völlig unabhängig von deren Inhalt ein unsäglicher Vorgang. RDL weist wie die meisten Medien eine solche Haftung ausdrücklich zurück, so auch im Impressum der Website.

Dieser Eingriff in die Pressefreiheit ist vollkommen unverhältnismäßig und nicht hinnehmbar. In einer bereits eingereichten Beschwerde hat Radio Dreyeckland das sofortige Auswertungsverbot aller beschlagnahmten Unterlagen beantragt sowie die sofortige Herausgabe der bei der Durchsuchung beschlagnahmten Geräte und Datenträger.

Die Geschäftsführung von Radio Dreyeckland sagt: "Die Durchsuchungen und Beschlagnahme verletzen in gravierender Weise die Rundfunkfreiheit und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Durchsuchung, Beschlagnahme und Auswertung verstoßen darüber hinaus gegen die aus den Verfassungsgrundsätzen folgenden Bestimmungen der Strafprozessordnung, die einen Schutz der Redaktionsfreiheit gewährleisten."

Im Lauf des Tages hat Radio Dreyeckland bereits viel Solidarität erfahren, wofür wir uns bedanken. Aus der Freiburger Zivilgesellschaft gibt es inzwischen einen Aufruf der "Soligruppe unabhängige Medien Freiburg" zu einer Kundgebung, um diesen Angriff auf die Pressefreiheit öffentlich zu verurteilen, sie soll am morgigen Mittwoch, 18.1. um 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge in Freiburg starten.

(1) https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller

Fabian Kienert
Presse und Öffentlichkeitsarbeit

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Mehr im Mittagsmagazin vom 17.01.23 von Radio Dreyeckland

Foto: RDL

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Pressemitteilung Rote Hilfe e.V., 17.01.23

Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland in Freiburg
Frontalangriff auf die Pressefreiheit

Am heutigen Dienstag, 17. Januar 2023 durchsuchten die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und Polizeieinheiten die Räume des Radio Dreyeckland sowie zwei Privatwohnungen von Radiojournalist*innen in Freiburg. Dabei handelt es sich um einen weiteren fundamentalen Angriff auf die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit.

Ab etwa 6.30 Uhr drangen Polizeibeamt*innen und Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft in zwei Privatwohnungen von Medienschaffenden ein, durchsuchten die Räume und beschlagnahmten unter anderem Datenträger. Das gleiche Szenario spielte sich ab 8 Uhr in den Räumlichkeiten des Radio Dreyeckland selbst ab, als zehn Beamt*innen stundenlang die Infrastruktur des Rundfunksenders belagerten und elektronische Medien spiegelten und beschlagnahmten. Ein Sprecher des Radios konnte in einer ersten Stellungnahme noch nicht abschätzen, welche Schäden die polizeiliche Spiegelungssoftware auf dem gesamten Netzwerk angerichtet hat.

Einmal mehr diente das Verbot der Internetplattform linksunten.indymedia als Vorwand, das ebenfalls einen extremen Angriff auf die Pressefreiheit dargestellt hatte. Der heutige Vorstoß gegen die Rundfunkfreiheit wurde mit Ermittlungen wegen eines angeblichen „Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot“ nach §85 StGB begründet. Als konkreten Vorwurf führen die Repressionsorgane einen Artikel von Radio Dreyeckland aus dem Sommer 2022 an, der einen Link zu einem seit Jahren offen zugänglichen Archiv von linksunten.indymedia enthält. Das nutzt die Staatsanwaltschaft als Anlass, um den Sender als „verlängerten Arm“ der Internetplattform zu verfolgen.

„Die staatsanwaltliche Konstruktion ist an Absurdität kaum zu übertreffen“, zeigte sich Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. empört. „Wieder einmal treten die staatlichen Organe die Pressefreiheit mit Füßen – eine Entwicklung, die gerade zur Normalität zu werden droht, wie die massiven Angriffe auf Medienvertreter*innen bei linken Demonstrationen, zuletzt bei der Räumung von Lützerath, zeigen. Die Angriffe auf das Grundrecht auf Pressefreiheit müssen aufhören! Den betroffenen Journalist*innen von Radio Dreyeckland gilt unsere volle Solidarität.“