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Gucklöcher und Kabelsalat

Stuttgarter Nachrichten, 17.9.2013

Gucklöcher und Kabelsalat
Von Andrea Jenewein

Das Freie Radio für Stuttgart in neuen Räumen – Für den Umbau der Sendestudioswerden derzeit Spenden gesammelt Die Kündigung kam für das Freie Radio für Stuttgart überraschend – doch der Umzug hat dem Radio zu größeren Räumen verholfen. Allein die Umbaukosten müssen noch finanziert werden.

STUTTGART. Die Räume sind geräumig und sehr hell.Die Fenster sind groß, sie bedecken fast die gesamte Vorder- und Hinterfront des Hauses an der Stöckachstraße. Doch nicht nur hier gibt es Fenster: Glasscheiben in den Zwischenwänden gewähren den Blick von einem Raum in den anderen.Gucklöcher. Zu sehen gibt es allerdings nichts als gähnende Leere. Die weißen Zimmer warten noch darauf, eingerichtet zu werden – wen oder was sie bald beherbergen werden, darauf weisen bisher einzig die vielen Kabel hin, die sich zu einem Kabelsalat vereint haben.
Und die daraufwarten, entwirrt und dann verkabelt zuwerden – auf dass das Freie Radio für Stuttgart bald von hier aus auf Sendung gehen kann. Im März flatterte dem einzigen nichtkommerziellen Radio in der Region Stuttgart die Kündigung ins Haus. Innerhalb der regulären Frist von einem halben Jahr sollte das Radio aus der Riekestraße im Stuttgarter Osten raus, in der es gut zwölf Jahren beheimatet war.

Die Radiomacher wünschen sich stärkere Frequenzen

Die Suche nach neuen Räumen gestaltete sich einfacher als gedacht: „Wir haben den Eindruck gewonnen, dass es in Stuttgart zwar wenig Wohnraum, aber viele Gewerberäume gibt“, sagt Oliver Herrmann , der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. Gleich die erste Anfrage war erfolgreich, dem Radio wurden aber auch Angebote unterbreitet. Doch man entschied sich für die „Wunschimmobilie“: die Räume in der Stöckachstraße 16 a. „Wir sind froh, im Viertel bleiben zu können, hier kennt man uns und hier sind wir gut vernetzt.“
Allerdings gab’s und gibt’s viel zu tun: Die neuen Räume mussten zu Sendestudios umgebaut werden. Um für die Kosten aufkommen zu können, hat das Freie Radio einen Kredit aufgenommen. Die 7000 Euro für den Umbau der Sendestudios versuchen die Radiomacher über Spenden reinzubekommen. Derzeit läuft auf einer Crowdfunding-Plattform im Internet ein Aufruf. Dort können Spender Projekte, die allein nicht zustemmen sind, als sogenannter Schwarm finanzieren. Die 7000 Euro für die Sendestudios des Freien Radios für Stuttgart sind bereits zu 59 Prozent drin, knapp 3000 Euro fehlen noch.
Doch damit ist – was die Finanzen angeht – noch lange nicht alles im grünen Bereich. Das Freie Radio muss noch weitere 33 000 Euro zusammen bekommen, um die Kosten für den Umzug begleichen zu können. Schließlich mussten neue Netzwerkkabel gelegt, die alten Räume in der Riekestraße müssen zurückgebaut und teilweise muss neues Mobiliar oder auch neue Technik gekauft werden. „Wir hoffen, das Geld aus Fördertöpfen zu erhalten, derzeit schreiben wir Anträge“, sagt Herrmann, der sich zuversichtlich zeigt, dass die Finanzierung klappt.
Die höhere Miete für die größeren Räume, in denen es fortan zwei Sendestudios geben wird – ein großes, das genug Platz für Studiogäste bietet, und ein kleineres, das auch als Vorproduktionsstudio genutzt werden kann – ist über die Regelförderung abgedeckt. „Nach dem Regierungswechsel wurde das Landesmediengesetz geändert und eine stärkere Förderung der Regelkosten für Freie Radios durchgesetzt“, sagt Herrmann. Zu dieser Förderung kommen die
Mitgliedsbeitrage des Fördervereins.
Der größte Teil des Umzugs sollte am vergangenen Wochenende über die Bühne gehen – „hoffentlich mit vielen freiwilligen Helfern“, so Herrmann. Nur ein kleines, sendefähiges Studio wird noch in der Rieckestraße bleiben, bis am 30. September die Räume übergeben werden müssen. „Wir müssen ja versuchen, denÜbergang so nahtloswiemöglich zu schaffen“, sagt Herrmann.
An der schwachen Frequenz, die dem Freien Radio für Stuttgart zugeteilt ist, wird der Umzug freilich auch nichts ändern. Die Ausstrahlung ist terrestrisch, über eine Antenne, die auf der Müllverbrennungsanlage in Stuttgart-Münster steht. „Der Stuttgarter Süden ist unterversorgt – in die andere Richtung kann man uns bis Schorndorf empfangen“, sagt Herrmann. „Es wäre schon schön, wenn wir eine stärkere Frequenz bekämen – aber bisher hatten bei der Landesmedienanstalt für Kommunikation immer andere Vorrang.“
Dafür bieten die neuen Räume die Möglichkeit, im Foyer Live-Konzerte oder Lesungen zu veranstalten, die sowohl von Publikum besucht als auch live im Radio ausgestrahlt werden könnten. Ja, es gibt viel zu tun. Am Wochenende haben es die Radiomacher angepackt, Licht in den Kabelsalat zu bringen und Leben hinter die Gucklöcher – aber das war nur der Anfang.
www.freies-radio.de
www.betterplace.org/p14095

Hintergrund
Das Freie Radio für Stuttgart

  • Das Freie Radio für Stuttgart (FRS) ist das einzige nichtkommerzielle Radio in der Region Stuttgart. Es wurde im Jahr 1993 gegründet.
  • Derzeit betreiben rund 250 Redakteure über 100 Sendungen – und das unentgeltlich. Jeder, der gern selbst eine Sendung übernehmen möchte, kann sich schriftlich bewerben. Danach muss sich der Redakteur /die Redaktion dem Plenum vorstellen. Dieses entscheidet dann, ob das Format ins Programm passt.
  • Das Programm des FRS reicht von Musik fast aller Art über Kunst, Literatur, Politik bis hin zu vielen muttersprachlichen Sendungen in über 15 verschiedenen Sprachen.
  • Auch junge Menschen entdecken das Radio für sich: Das Jugendhaus Mitte geht regelmäßig
  • auf Sendung und das Neue Gymnasium Feuerbach hat seit April einen festen Sendeplatz.
  • Der Förderverein des Freien Radios hat rund 500 Mitglieder.
  • Das Freie Radio für Stuttgart wird über Antenne auf 99.2 MHz empfangen, über Kabel auf 102.2 MHz. (anj)

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