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Das Schiff muss auf die Schiene

Stuttgarter Wochenblatt vom 30. Oktober 2003

Das Schiff muss auf die Schiene

Freies Radio für Stuttgart verliert Sendezeit und Geld an neuen Hochschulsender
Können Schiffe auf Schienen fahren? Diesen Vergleich nutzt das Freie Radio für Stuttgart (FRS), wenn es um die Neuvergabe der Lizenzen für nichtkommerziellen Hörfunk und Lernradios geht. Stuttgarts einziger nichtkommerzieller privater Radiosender muss künftig seine Frequenz teilen mit einem neuen Radioprojekt der Hochschule für Druck und Medien.

Dabei hatte man die neue, stärkere Frequenz erst zum 1. Mai 2003 zugeteilt bekommen: Der Wechsel von 97,2 MHz auf 99,2 MHz bedeutet, dass das Programm nicht mehr nur im Talkessel zu empfangen ist, sondern auch weit über Stuttgart hinaus. Ein Anstieg der Hörerzahlen und Anfragen nach Sendemöglichkeiten zeichnete sich schnell ab.

Doch Frequenz ist nicht gleich Lizenz und die läuft zum 31. Dezember 2003 turnusgemäß nach acht Jahren aus. Beim Neuantrag hoffte das FRS auf eine Zuteilung an sieben Tagen rund um die Uhr, um dem wachsenden Interesse auch künftig durch den weiteren Ausbau der Vormittags- und Nachtsendezeiten gerecht werden zu können. Völlig überraschend tauchte dann der neue Mitbewerber auf.

Das FRS mit Sitz in der Rieckestraße 24 sendet seit dem Herbst 1996 ein Programm, das jeder mitgestalten kann, der gerne möchte. Unabhängig, eigensinnig, selbstbestimmt - so lautet die Devise. Bunt trifft es auch ganz gut.

Das FRS ist kein Sender zum Durchhören, aber eine wahre Fundgrube für Radiofans: "Du läufst niemals allein" ist eine Sendung für alle, die nicht genug von Fußballreportagen im Radio bekommen können. Oder "Grüße aus dem Freizeitpark" - ein Radioprojekt der Arbeitsloseninitiative SALZ. Oder "MiNaLy", Mitternachtslyrik aus allen Erdteilen, "ausgesucht, gelesen und chaotisch mit Musik unterlegt".

Zahlreiche Kulturvereine produzieren beim FRS ihre eigenen, deutsch und heimatsprachlich gemischten Sendungen - seit dem die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ihre fremdsprachigen Programme eingestellt haben, ist das FRS somit auch der einzige Sender, der Kommunikation in der Muttersprache ermöglicht und für die Eingewanderten ein sehr bedeutsames Medium.
Das reicht vom "Russischen Kulturroulette" bis zum "Radio Portal Brasil". Aber auch einzelne DJs genießen die Freiheit, stundenweise ihre Lieblingsscheiben abfahren zu können.

Die Freiheit, die das FRS bietet, war zumindest bislang Maßstab für die Vergabe der Frequenz: Die zuständige Landesanstalt für Kommunikation (LfK) legt bei den nichtkommerziellen Sendern großen Wert auf Zugangsoffenheit und Vielfalt - eine Forderung, die das neue Hochschulradio Stuttgart (HoRads) nach Ansicht des FRS-Plenums, in dem die Radiomacher ihre Entscheidungen demokratisch treffen, nicht erfüllt.

"Da wurden zweierlei Maßstäbe an die gleiche Frequenz angelegt", ärgert sich Sprecher Oliver Herrmann. "Die Hochschule will ein Lern- oder Campusradio für die Ausbildung ihrer Journalisten, das auf Durchhörbarkeit, ein spezielles Radioprofil und so genannte Schienensendungen ausgelegt ist." Die Zugangsfreiheit ist in jedem Fall eingeschränkt, denn HoRads können nur Studierende mitgestalten, die durch die Sendungen fit gemacht werden sollen für ihre berufliche Laufbahn im öffentlich-rechtlichen oder privat-kommerziellen Rundfunk. Sie haben dafür ein eigenes, vom Land finanziertes und hochmodernes Studio - Bedingungen, von denen das FRS nur träumen kann.

Da die Zuschüsse der LfK nach Anteilen an der Frequenz vergeben werden, befürchten die ehrenamtlichen 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch fatale wirtschaftliche Folgen, denn Einsparpotential ist nicht mehr vorhanden.

Die zeitliche Aufteilung der 99,2 MHz zwischen HoRads und FRS bedeutet also künftig zwei völlig unterschiedliche Sender mit ungleichen Voraussetzungen auf einer Frequenz - der ICE mit festem Fahrplan und Schienensystem trifft auf den munter in den Ätherwellen umherschippernden Ausflugsdampfer. Zwingt man die beiden nun, sich auf ein Verkehrssystem zu einigen, kann das für alle Beteiligten nur negativ ausgehen, davon ist das FRS überzeugt.

Mit einem Rundschreiben an alle Mitglieder des Medienrats hatten man den vielfältigen Bedenken Nachdruck verliehen und am Entscheidungstag den Medienräten mit gebastelten Schiffen und Schienen aufgewartet.

Dabei richteten sich die Proteste nicht gegen HoRads: "Wir wollen uns dem Hochschulradio in keiner Weise in den Weg stellen", betont Herrmann. "Wir sind allerdings der Ansicht, dass beide Sender eine eigene Chance auf einer eigenen Frequenz verdienen, besonders da die Zahl der neuen Frequenzen in diesem Jahr relativ stark gestiegen ist." Diese sind jedoch überwiegend dem kommerziellen Bereich zugute gekommen.

Seit Dienstag steht nun fest, dass HoRads ab dem 1. Januar 2004 montags bis mittwochs von 7 bis 11 Uhr, donnerstags von 1 bis 11 Uhr sowie freitags und samstags von 6 bis 11 Uhr auf der 99, 2 senden darf - eine Entscheidung, die man beim FRS zwar schon befürchtet hatte, die aber dennoch für große Enttäuschung sorgte.

Eine nette Geste gegenüber der Hochschule, die dieser allerdings wenig Vorteile bringt, während sie für das FRS existenzgefährdende Ausmaße annimmt, so lautet das FRS-Fazit.
"Es ist einfach keine sinnvolle oder gerechte, sondern eine politische Entscheidung", meint der Sendersprecher. "Das Land will den Hochschulsender und wir müssen die Sendeplätze frei machen.

Was mit den betroffenen Musiksendungen "Daybreak", "File under Ska" und "Atonale Strategien", den interkulturellen Programmen "Chai", "Persische Kultur", "Radio Eritrea", "Radio Libera Stoccarda" und "Radio Ghana" sowie dem Kinomagazin "Außer Atem" nun passiert, ist noch unklar. "Wir werden eben noch enger zusammenrücken müssen", seufzt Herrmann.