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28.02.2017 09:00 Uhr Morgenlatte – Theoriegewichse vom Feinsten (eingestellt)

Die deutsche Erinnerungskultur beschränkte sich in den ersten 30 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches auf die eigenen 6 bis7 Millionen Kriegstoten. Erst danach begann das Gedenken an die 6 Millionen ermordeter europäischer Juden. Aber vergessen werden darüber immer noch die Opfer des anderen Völkermordes – den an den slawischen Völkern mit 30 bis 40 Millionen Toten. Dazu kommen 2 Millionen Kriegs- und Besatzungsopfer im übrigen Europa, die Sinti und Roma, die Opfer der Euthanasie und des politischen Widerstands. Das ergibt mindestens 37 Millionen von Deutschen bzw. auf deutschen Befehl schuldlos Getöteter. Die Alliierten gingen – bei 19 Millionen Wehrmachtsangehörigen und 8 Millionen Mitgliedern der NSDAP – nach der Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 von Abermillionen Tätern aus.

Schon die ersten Abhandlungen zur „Schuldfrage“ aus dem Jahr 1946 bestätigten diese Einschätzung: Sie kamen zu dem Schluss, „dass jeder Deutsche in irgendeiner Weise schuldig“ sei (Karl Jaspers) und sprachen von einer „Gesamtschuld“ des deutschen Volkes (Hannah Arendt). Aber die Deutschen in West wie Ost retteten sich in ein Vergessen, wo es keines geben durfte: Das Dritte Reich und dessen Verbrechen wurden ungeschehen gemacht. Man spaltete sie aus dem eigenen Leben ab und wies sie Anderen zu, Aliens unter dem Namen „die Nazis“ oder deren Anführer: „Hitler war’s“.

Dieses Geschichtsbild wurde – vorbereitet durch den Eichmannprozess in Jerusalem und den Frankfurter Auschwitz-Prozess – durch die rebellierenden Studenten und Studentinnen 1967/68 in Frage gestellt und in seinem Kern zerstört: In ihrem Angriff auf die eigenen Väter, die Professoren und die Politik zeigten sie die Bundesrepublik als eine ihre Vergangenheit leugnende Täter-Gesellschaft. Willy Brandts neue Ostpolitik und kritische Wissenschaftler nahmen diesen Anstoß zwar auf, aber an der Weigerung der Mehrheit, die deutsche Schuld anzunehmen, änderte das wenig. Wie ein Seismograph lassen die großen deutschen Geschichtsskandale diesen Prozess erkennen. Drei von ihnen sollen exemplarisch dargestellt werden – der Historikerstreit, die Reaktionen auf die Jenninger-Rede und der Kampf gegen die erste Wehrmachtsausstellung. Bleibt die Frage nach dem angemessenen Umgang mit der deutschen Schuld. Auch darüber wird zu reden sein.

Hans Georg „Hannes“ Heer (geboren am 16. März 1941 in Wissen an der Sieg) ist ein deutscher Historiker, Regisseur und Publizist. https://de.wikipedia.org/wiki/Hannes_Heer

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