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23.10.2018 09:00 Uhr Morgenlatte – Theoriegewichse vom Feinsten (eingestellt)

Kant würdigt das Zeitalter der Aufklärung als das „eigentliche Zeitalter der Kritik“: „Religion“ und „Gesetzgebung“ hätten sich der „freien und öffentli­chen Prüfung“ durch die „Vernunft“ zu unterwerfen. Der Vernunft des Men­schen, aller Menschen, kommt die höchste Herrschaft zu – nicht Gott, nicht dem Monarchen: das ist die Utopie des revolutionären Liberalismus. Unter der Herrschaft der Vernunft schienen alle Menschen frei und gleich, schien die Geschichte der Gewalt durch einen Zustand „ewigen Friedens“ über­wunden, schien die einseitige Bereicherung von Handelsnationen überzu­gehen in das System des Wealth of Nations.
Die Aufklärung überwindet, durch theoretische und praktische Kritik, das Zeitalter der Metaphysik. In der metaphysischen Weltauffassung und Le­benspraxis besteht die Einheit der Welt in Gott.
Der absolute Monarch per­sonifiziert die göttliche Rationalität; die Natur gilt als „göttliche Natur“; die Naturstoffe Gold und Silber gelten unmittelbar als gesellschaftlicher Reich­tum; Philosophie und Astronomie stützen sich auf den Beweis vom Dasein Gottes; der Einzelne erlangt in seiner Seele die Einheit mit Gott.
Indem die Aufklärung diese Welteinheit in Gott zerstört, treten in der Welt – theoretisch und praktisch – Subjekt und Objekt auseinander. Das Zeitalter der Aufklärung ist das Zeitalter der Entzweiungen: von Vernunft und
Sinn­lichem, Natur und Gesellschaft, Staat und Gesellschaft, Gesellschaft und In­dividuum, Glaube und Wissen. Praktisch bedeutet dies: an die Stelle der ab­soluten Monarchie tritt die Republik, an die Stelle des Handelskapitalismus tritt der Industriekapitalismus; an die Stelle der Stände- tritt die Klassenge­sellschaft. Die Aufklärung vollendet sich in den bürgerlichen Revolutionen in Nordamerika (1776) und in Frankreich (1789).
Die Utopie einer Herrschaft der Vernunft ist widersprüchlich. Vernunft, nach Platon die Kritik von theoretischen und praktischen Voraussetzungen (Dog­men) durch Aufklärung ihrer Genesis, wird durch diese Herrschaft selbst zum Dogma: zu einem
allgemeinen Unbewußten, zur „List der Vernunft“. So schlägt die vernunftgerichtete Revolutionierung der alten Gewaltverhältnisse in eine rationalisierte Gewalt um: in den Terror der Französischen Revolu­tion, in das Elend der englischen Arbeiterklasse.
Der gegenwärtig herrschende Neoliberalismus ist die vorläufig letzte Gestalt jener gesellschaftlichen Bewußtlosigkeit, die mit der Vernunft-Utopie der Aufklärung praktisch wurde: als invisible hand, als volonté générale.
Der Neoliberalismus fixiert die Bewußtlosigkeit zum allgemeinen Irrationalen.

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