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25.04.2019 18:00 Uhr Inforedaktion: AG Weiße Fabrik

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Vor den Personalratswahlen
In vielen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, bei der Stadt Stuttgart und in der Anstalt Klinikum Stuttgart finden demnächst die Wahlen zum Personalrat (PR) statt.
Der PR des Klinikums berichtete in seinem Infoblatt „Zur Sache“ vom 9. April 19 „Über die Arbeit des Personalrates von Juli 2014 bis April 2019“.
Drei wichtige, einschneidende Veränderungen, die der PR in diesem Zeitraum mitgetragen hat, werden aber gar nicht erwähnt: der Rechtsformwechsel, die neuen Leistungsentgelte und die Reduzierung und der Verkauf des Wohnraums.
Dieses Verschweigen erinnert an die Vorgänge, die zum
Rechtsformwechsel des Klinikums
führten: Von Anfang 2018 bis zur Entscheidung im Juli 2018 wurden die Beschäftigten durch den PR nicht einmal darüber informiert, dass sie künftig keine städtischen Beschäftigten mehr sein werden. Die Auswirkungen dieser neuen Rechtsform werden sich erst im Laufe der Zeit zeigen, da es Übergangsbestimmungen gibt. Wen es genauer interessiert kann unsere Berichte dazu auf der Internetseite des Freien Radios für Stuttgart nachlesen. Wir berichteten letztes Jahr beinahe monatlich über diese Vorgänge.
Neue Leistungsentgelte
Die Dienstvereinbarungen zur freiwilligen Anrufbereitschaft und geplanten Überstunden im OP regeln, dass man sich künftig einen Teil seiner Rechte abkaufen lassen kann. Dies führt zu Individualisierung, Entsolidarisierung und verschlechtert die Bedingungen, sich gegen den Pflegenotstand zu wehren (ausführlich nachzulesen im Beitrag der Sendung vom 30.August 2018).
Reduzierung und Verkauf des Wohnraums
Statt der bis zum Jahr 2025 garantierten 1050 Wohneinheiten für die Beschäftigten des Klinikums bleiben nach dem Verkauf des Wohnraums an die SWSG (Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft mbH) noch 770 übrig. Damit gehören auch die tariflich vereinbarten Mieten der Vergangenheit an. Künftig müssen, trotz vorübergehender Mietzuschüsse, erheblich höhere Kostenmieten bezahlt werden.

Doch über diese Dinge findet sich nichts im PR Info. Und wie das ganz häufig bei PersonalrätInnen und GewerkschafterInnen so abläuft, hat Kurt Tucholski bereits 1931 beschrieben.

Aus wikipedia:
Kurt Tucholsky (* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er schrieb auch unter den Pseudonymen Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel.
Tucholsky zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Als politisch engagierter Journalist und zeitweiliger Mitherausgeber der Wochenzeitschrift Die Weltbühne erwies er sich als Gesellschaftskritiker in der Tradition Heinrich Heines. Zugleich war er Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter, Romanautor, Lyriker und Kritiker (Literatur, Film, Musik). Er verstand sich selbst als linker Demokrat, Sozialist, Pazifist und Antimilitarist und warnte vor der Erstarkung der politischen Rechten – vor allem in Politik, Militär und Justiz – und vor der Bedrohung durch den Nationalsozialismus.

Die Verräter

Na, Verräter eigentlich nicht. Ein Verräter, das ist doch ein Mann, der hingeht und seine Freunde dem Gegner ausliefert, sei es, indem er dort Geheimnisse ausplaudert, Verstecke aufzeigt, Losungsworte preisgibt ... und das alles bewußt ... nein, Verräter sind diese da nicht. Die Wirkung aber ist so, als seien sie welche, doch sind sie anders, ganz anders.

Da wird man vom Vertrauen der Parteigenossen ausgesandt, mit dem bösen Feind zu unterhandeln, sozusagen die Arbeiter zu vertreten, die ja inzwischen weiterarbeiten müssen. Und die erste Zeit geht das auch ganz gut. Geld ... ach, Geld ... wenn die Welt so einfach wäre. Geld ist zunächst gar nicht zu holen. Der Arbeiterführer bleibt Arbeiterführer; leicht gemieden von den Arbeitgebern, merkwürdiges Wort, übrigens. Nein, nein, man bleibt ein aufrechter Mann.

Aber im Laufe der Jahre, nicht wahr, da sind so die langen Stunden der gemeinschaftlichen Verhandlungen an den langen Tischen: man kennt einander, die Gemeinsamkeit des Klatsches eint, und es wird ja überall so viel geklatscht. Nun, und da stellt sich so eine Art vertraulicher Feindschaft heraus.

Kitt ist eine Sache, die bindet nicht nur; sie hält auch die Steine auseinander. Zehn Jahre Gewerkschaftsführer; zehn Jahre Reichstagsabgeordneter; zehn Jahre Betriebsratsvorsitzender – das wird dann fast ein Beruf. Man bewirkt etwas. Man erreicht dies und jenes. Man bildet sich ein, noch mehr zu verhüten. Und man kommt mit den Herren Feinden ganz gut aus, und eines Tages sind es eigentlich gar keine Feinde mehr. Nein. Ganz leise geht das, unmerklich. Bis jener Satz fällt, der ganze Reihen voller Arbeiterführer dahingemäht hat, dieser infame, kleine Satz: »Ich wende mich an Sie, lieber Brennecke, weil Sie der einzige sind, mit dem man zusammenarbeiten kann. Wir stehen in verschiedenen Lagern – aber Sie sind und bleiben ein objektiver Mann ... « Da steckt die kleine gelbe Blume des Verrats ihr Köpfchen aus dem Gras – hier, an dieser Stelle und in dieser Stunde. Da beginnt es.

Der kleine Finger ist schon drüben; der Rest läßt nicht mehr lange auf sich warten, »Genossen«, sagt der Geschmeichelte, »man muß die Lage von zwei Seiten ansehn ... « Aber die Genossen verstehen nicht recht und murren: sie sehn die Lage nur von einer Seite an, nämlich von der Hungerseite. Und was alles Geld der Welt nicht bewirkt hätte, das bewirkt jene perfide, kleine Spekulation auf die Eitelkeit des Menschen: er kann doch die vertrauensvollen Erwartungen des Feindes nicht enttäuschen. Wie? Plötzlich hingehn und sagen: Ja, die Kollegen billigen das nicht, Krieg muß zwischen uns sein, Krieg und Kampf der Klassen, weil wir uns ausgebeutet fühlen ... ? Unmöglich. Man kann das unmöglich sagen. Es ist zu spät.

Und dann geht es ganz schnell bergab. Dann können es Einladungen sein oder Posten, aber sie müssen es nicht sein – die schlimmsten Verräterein auf dieser Welt werden gratis begangen. Dann wird man Oberpräsident, Minister, Vizekönig oder Polizeipräfekt – das geht dann ganz schnell. Und nun ist man auch den grollenden Zurückgebliebenen, die man einmal vertreten hat und nun bloß noch tritt, so entfremdet – sie verstehen nichts von Realpolitik, die Armen. Nun sitzt er oben, gehört beinah ganz zu jenen, und nur dieses kleine Restchen, dass sie ihn eben doch nicht so ganz zu den Ihren zählen wollen, das schmerzt ihn. Aber sonst ist er gesund und munter, danke der Nachfrage.
Und ist höchst erstaunt, wenn man ihn einen Verräter schilt, Verräter? Er hat doch nichts verraten! Nichts – nur sich selbst und eine Klasse, die zähneknirschend dieselben Erfahrungen mit einem neuen beginnt.
Die Weltbühne, 10.11.1931, Nr. 45, S. 720. Gesammelte Werke Bd 9, 1931 Hamburg)

Eine Ausgabe der Sendung Inforedaktion: AG Weiße Fabrik.

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