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29.08.2019 18:00 Uhr Inforedaktion: AG Weiße Fabrik

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Auf gutem Kurs?
Die Krankenhausleitung der Anstalt Klinikum Stuttgart feiert
die „erneute Reduktion des Defizits“

Seit 01.August 2019 ist im intranet des Klinikums zu lesen:
„Nachdem der Fehlbetrag 2015 noch bei 27,6 Mio. EUR lag, konnte mit 23,7 Mio. EUR in 2016 und 18,9 Mio. EUR in 2017 das Klinikum bereits zum dritten Mal in Folge sein Defizit reduzieren.“
Und weiter: „Das Klinikum Stuttgart hat im vergangenen Jahr sein Defizit deutlich um 3,9 Millionen EUR auf 15,0 Mio. reduziert.“
So werden Zahlen gemacht!
Nicht enthalten in den 15 Mio Defizit sind die über das gesamte letzte Jahr ca. 100 offenen Stellen. Pro Pflegestelle werden z.B. durchschnittlich 70 000 €/Jahr veranschlagt.
100 Stellen wären also zusätzlich 7 Mio Defizit für letztes Jahr.
Und wer dieses Jahr ein Blick in die externen Stellenangebote der Anstalt wirft, wird feststellen, dass inzwischen meist um die 150 Stellen offen sind. So könnte es auch dieses Jahr wieder klappen, dass das Defizit weiter reduziert wird.
Als Hohn empfinden deswegen viele Kolleginnen und Kollegen wenn im Intranet steht: „Die Krankenhausleitung dankt den Mitarbeitern für ihr nachhaltiges Engagement, ohne die diese Leistungssteigerung und Verbesserung des Jahresergebnisses nicht möglich gewesen wäre.“
Dies ist allerdings teuer erkauft: Wie jedes Jahr gibt es ca 1000 Gefährdungsanzeigen, in denen die KollegInnen dokumentieren, dass entweder eine Gefährdung der Patienten vorlag oder Arbeitsschutzrechte nicht eingehalten werden konnten... - meist beides. Und alle wissen, dass nur ein kleiner Teil der Gefährdungen auch tatsächlich schriftlich angezeigt wird und wie schlimm die Arbeitsbedingungen mitunter sind. Die Reduktion des Defizits geht also vor allem auf die Knochen der Beschäftigten.
Das aber scheint weder für die Krankenhausleitung noch für Stuttgarts Krankenhausbürgermeister Thomas Fuhrmann („Als Träger des Klinikums begrüßen wir diese Entwicklung“) von Wichtigkeit. Zählen tun in erster Linie die Zahlen.

Und auch hier zählen die Zahlen:
Aus den „Nachdenkseiten“
Es tut sich was in unserem Gesundheitswesen, schon lange, in kleinen, unmerklichen Schritten und immer in die gleiche beunruhigende Richtung: Es ist die Verwandlung der Humanmedizin in einen profitorientierten Industriezweig – auf Kosten der Patienten und des Allgemeinwohls. In das Gesundheitswesen hat unsere Gesellschaft bislang einen Teil ihres Reichtums investiert, zum Wohle aller. Nun wird das Gesundheitswesen zur Quelle neuen Reichtums für Investoren. Auf Basis seiner 40-jährigen Berufserfahrung als Chirurg hat Bernd Hontschik mit seinem Buch „Erkranken schadet Ihrer Gesundheit“ einen erschütternden Blick auf das Gesundheitswesen geliefert. Ein Auszug.
Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn sich neuerdings immer mehr private Investoren im Gesundheitswesen tummeln? Innovative Konzepte, viel neues Geld und junge Nachwuchskräfte, die frischen Wind in die verkrusteten Strukturen bringen, das kann eigentlich nicht schaden. Es ist doch wirklich beeindruckend, wie beispielsweise private Klinikkonzerne den kommunalen Krankenhäusern immer wieder vormachen, wie man schwarze Zahlen schreibt, kaum dass sie die defizitären Einrichtungen übernommen haben. Gut, sie treten aus den Tarifverträgen aus und zwingen das Personal in sogenannte Notlagentarifverträge. Ja, sie sparen an Personalkosten und streichen Stellen, wo immer es geht. Und, ach, sie schließen defizitäre Abteilungen und kümmern sich nicht darum, ob medizinischer Bedarf für deren Leistungen besteht. Aber dafür renovieren sie die maroden Klinikbauten und stellen neue, moderne Funktionsgebäude daneben. Sie optimieren die Behandlungsabläufe, und die Zufriedenheit ihrer Kunden steht obenan – behaupten sie jedenfalls.
Das Gesundheitswesen hat sich gewandelt. Es ist eine Gesundheitsbranche entstanden. Die Gesundheitswirtschaft ist ein einträgliches Geschäft. Das beste Geschäft macht dabei schon immer die Pharmaindustrie. Da gibt es keine weißen Westen. Kein Wucher, keine Manipulation von Wissenschaft, keine Korruption gibt es, die sich die Pharmaindustrie noch nicht hat zuschulden kommen lassen. Das ist so allgemein bekannt, dass es eigentlich keine Erwähnung mehr wert ist.
Wäre da nicht Goldman Sachs. Sie erinnern sich: Goldman Sachs ist eine US-amerikanische Bank mit Hauptsitz in New York. Investmentbanking und Wertpapierhandel ist eigentlich ihr Hauptgeschäft, aber dabei hat die Bank es nicht belassen. (...)
Goldman Sachs stellt die einflussreichsten Wirtschaftsberater von Donald Trump. Der EZB-Chef Mario Draghi war Vizepräsident von Goldman Sachs. Keine andere Bank hat so viele »Termine« bei der Bundesregierung wie Goldman Sachs. Und der bisherige Deutschland-Chef von Goldman Sachs wurde prompt beamteter Staatssekretär im Bundesfinanzministerium von Olaf Scholz.
Und nun hat Goldman Sachs seine Expertise einer Marktuntersuchung für die Pharmaindustrie zur Verfügung gestellt. Und was kommt dabei heraus, wenn Investmentbanker sich mit Gesundheit beschäftigen? Der interne Bericht mit der Überschrift »Die Genom-Revolution« nimmt als Beispiel ein Medikament gegen Hepatitis C, das mit Hilfe der Gentechnik entwickelt worden ist und »schon nach einer einzigen Anwendung Heilung bringen kann«. Und hier haben wir das Problem: Mit den Hepatitis-C-Medikamenten konnte 2015 ein weltweiter Umsatz von 12,5 Milliarden Dollar erzielt werden, aber schon 2018 waren es nur noch weniger als vier Milliarden. Denn das Medikament gegen Hepatitis C hat Heilungsraten von etwa 90 Prozent, wodurch der Pool von zu behandelnden Patienten immer kleiner wird, was wiederum die Neuinfektionen immer weiter reduziert. Also sinkt der Umsatz und somit auch der Gewinn. Das ist zwar ein Meilenstein in der Behandlung der Hepatitis, ein großartiger Erfolg für die betroffenen Patient*innen und ein enormer Wert für die Gesellschaft, gleichzeitig aber »eine große Herausforderung für die Entwickler der Gentechnik in der Medizin, die nach einem nachhaltigen Cash Flow streben«, sagt Goldman Sachs. Mit anderen Worten: ein miserables Geschäftsmodell. Von der Entwicklung solcher Medikamente sollte man Abstand nehmen, sagt Goldman Sachs. Stattdessen sollten sich die Auftraggeber lieber auf Medikamente konzentrieren, bei denen die Patientenzahl stabil, vielleicht sogar ansteigend sei, also beispielsweise auf Krebsmedikamente. Dann bliebe das Geschäft auch weiterhin gewinnbringend.
Und damit ist jetzt wohl allen klar, was so schlimm daran ist, wenn private Investoren das Gesundheitswesen übernehmen. Goldman Sachs sei Dank.


Im internet (www.freies-radio.de) sind dieses Jahr bislang folgende Beiträge nachzulesen:
31.01.2019 Zum Film "Der marktgerechte Patient"; Psychologiekongress in Berlin: "Krieg nach innen, Krieg nach außen", Psychotherapeuten schlagen Allarm: Protest gegen das Terminservice - und Versorgungsgesetz
28.02.2019 Pflegeförderprogramm - mehr Stellen fürs Klinikum?; Streikkonferenz und die Bewegung Mehr Personal in den Krankenhäusern; Tarifrunde Länder; Arzneimittelbranche gibt Millionen Euro für Weiterbildungen von Ärzten aus
25.04.2019 Vor den Personalratswahlen
30.05.2019 Nach den Personalratswahlen
20.06.2019 Verdi verhandelt für Krankenhausbeschäftigte.
27.06.2019 Teilerfolg bei Tarifgesprächen-Samstagszuschlag auf 20%, Mehr Personal für die Psychiatrie, Klinikum: Co Management statt Tarifvertrag?
25.07.2019 So kann´s gehen: Uniklinik Mainz, Pflegekräfte erhalten ca 20 % mehr.

Eine Ausgabe der Sendung Inforedaktion: AG Weiße Fabrik.

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