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27.10.2020 09:00 Uhr Morgenlatte – Theoriegewichse vom Feinsten (eingestellt)

  1. JAHRE HEGEL
    Alle Waffen kennen
    Er kann Hegel nicht nur auf 100 Seiten, sondern auch in 100 Minuten: Dietmar Dath in der jW-Ladengalerie
    »Selbst die, die es nicht wissen, arbeiten sich an ihm ab.« Zum Zwecke des bewussten Abarbeitens an ihm – gemeint ist natürlich der an seinem 250. Geburtstag allgegenwärtige Hegel – hatte die junge Welt am Donnerstag abend Dietmar Dath eingeladen. Vorzustellen gab es gleich zwei Publikationen des Schriftstellers: den Band »Hegel. 100 Seiten« (Reclam) und das Büchlein »Hegel to go« (Eulenspiegel). Letzteres, eine mit Marlon Grohn erstellte Zitatesammlung, sei eine gute Ergänzung zu seiner mit Zitaten eher geizenden Hegel-Einführung, so Dath. Beigetragen habe er zu dem Vademecum nur die Passagen aus dem Briefwechsel des schwäbischen Philosophen.

Vor rund 25 Besuchern, die sich in gebührendem Abstand in der Ladengalerie verteilten und Hunderten Zuschauern im Livestream, führte An­dreas Hüllinghorst das Gespräch durch einige der bereits in dem Reclam-Bändchen angeschnittenen Themen. Wer sie kennt, wird nur wenig Neues gelernt haben, höchst unterhaltsam war der Abend dennoch. Wie immer geizte Dath, als Badenser eigentlich »Todfeind der Schwaben – aber das Stammesdenken ist ohnehin zu überwinden«, nicht mit Bonmots. Angesprochen etwa auf den Vorwurf, Hegel schreibe schwierig oder gar unverständlich, entgegnete er pointiert: »Schachtelsätze? Versucht mal, mehrere verschieden große Sachen irgendwohin zu tragen. Es ist besser mit Schachteln.«

Auch sonst war Dath, wenn auch mitunter fahrig wirkend, in bestechender Form. Mal redete er sich in Rage – etwa über die Hegel-Titelseite der Zeit mit der dummen Frage »Wird am Ende alles gut?« oder über irrationale Schlechtmacherei des bisher erreichten Fortschritts – mal in Begeisterung. Die Welt sei der Vernunft zugänglich und diese wie jene der Verbesserung fähig, niemand habe das besser als Georg Wilhelm Friedrich explizit gemacht, betonte Dath emphatisch. Gegen Missverständnisse seiner Theorie helfe nur in den seltensten Fällen, nicht Hegel selbst zu Wort kommen zu lassen. Er nähere sich daher dem Punkt, nur noch zu sagen: »Hegel, Hegel, lest Hegel!«

Auf dem Weg dahin gab es dennoch einiges zu besprechen. Hüllinghorst erwies sich als guter Gesprächspartner, der Vorlagen lieferte, aber auch manchen Ball von Dath aufnahm. Inhaltliches Highlight war die Klärung des Begriffs der bestimmten Negation. Nachdrücklich mahnte der Gast, man solle aus der Dialektik, die die Sachen in Bewegung hält, kein totes Ding, keine einfache Identität machen. Um so besser, dass das Gespräch nicht in unterschiedslosem Einklang endete: Hüllinghorst, als Vorsitzender der Gesellschaft für dialektische Philosophie zu kompetenter Kritik berufen, widersprach dem Vorwort von »Hegel to go«, wo es u. a. heißt, Hegel behalte immer recht, »egal, wer gerade siegt oder an der Macht ist«. Wer wissen will, wie die diesbezügliche Klärung der beiden Marxisten auf dem Podium verlief – oder wen interessiert, was uns beispielsweise die Lebensgeschichte des Vormärz-Rebellen Joseph Fickler über das Verhältnis von Emanzipation und Antiautoritarismus lehren kann – mag sich die Videoaufzeichnung auf dem Youtube-Kanal der jungen Welt ansehen.

Am Ende der etwas mehr als 80 Minuten Gespräch die große Frage: ­Warum sollte man heute noch Hegel lesen? Vorausgesetzt, Ideen sind Waffen im politischen Kampf, fällt die Antwort leicht: »Können wir es uns leisten, auch nur eine Waffe nicht zu kennen?« Nach der anschließenden 15minütigen Diskussion gab es noch mehr Anregendes: Champagner, wie ihn Hegel jeden 14. Juli zum Jahrestag der Französischen Revolution trank. Ein letztes Mal Dath, beim Anstoßen: »Ich trinke nicht nur auf diese Revolution.«
Dietmar Dath (* 3. April 1970 in Rheinfelden) ist ein deutscher Autor, Journalist und Übersetzer.
https://de.wikipedia.org/wiki/Dietmar_Dath

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