03.09.2022 15:00 Uhr Russisches KulturRoulette
Josif Brodskij war der größte Dichter der sowjetischen Nachkriegsgeneration und Nobelpreisträger für Literatur. Brodskij sagte von sich: „Ich bin Jude, russischer Dichter und amerikanischer Staatsbürger.“ Als einer der ganz großen Talente mit spitzer Zunge und Polemik ging seine Karriere in der Sowjetunion auf und ab, bis er 1972 sehr unschön nach Wien abgeschoben wurde. Diesen Zwiespalt trug er stets in sich und beschrieb es so: „Obwohl ich nun meine russische Staatsbürgerschaft verliere, höre ich nicht auf, ein russischer Dichter zu sein. Ich glaube an meine Rückkehr; Dichter kommen immer zurück, sei es persönlich oder auf dem Papier.“ Auch in den USA schrieb er die meisten Gedichte in russischer Sprache und ließ sie übersetzen. In seiner Rede zur Verleihung des Nobelpreises sagte er: „Solange sich der Staat in die Literatur einmischt, solange hat die Literatur das Recht, sich in die staatlichen Angelegenheiten einzumischen." Das machte er u. a. 1994 mit dem Gedicht „Über die Unabhängigkeit der Ukraine“, was westliche Autoren jetzt plötzlich auf die Idee brachte, dass Brodskij doch nicht so phänomenal sei, wie das der Westen von Dissidenten erwartet.