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27.04.2023 18:00 Uhr Inforedaktion: AG Weiße Fabrik

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Aus der Sendung vom 20.04.23

Tarifrunde öffentlicher Dienst von Bund und Kommunen
Einigungsempfehlung der Schlichtungskommission liegt vor
Dieses Jahr: Nullrunde vorgesehen

Wie war das?
Verdi forderte vom 1.1.23 bis 31.12.23 ein Lohnerhöhung um 10,5 %, mindestens aber 500 € im Monat mehr.
Und viele waren sehr angetan von den Streikaktionen: Ein Streiktag wurde auf den Internationalen Frauenkampftag gelegt, bei einem weiteren wurde zusammen mit der Bahn ein bundesweiter Mobilitätsstreik organisiert.
Doch jetzt die Ernüchterung bei der Schlichtungsempfehlung – zwar noch kein Ergebnis, aber man muss kein Prophet sein um zu mutmaßen, dass die gewerkschaftlichen Schlichtungsteil-nehmerInnen bei der am Samstag folgenden Tarifverhandlung auch nicht mehr erreichen können oder wollen. Schließlich stimmten 24 von 26 Schlichtungsteilnehmern zu. Darunter waren jeweils 12 von Gewerkschafts – und Arbeitgeberseite und jeweils ein Schlichter dazu. Wer soll da jetzt noch Nein sagen?

Einigungsempfehlung
Die Einigungsempfehlung sieht vor von 1.1.23 bis 31.12.23 eine Lohnerhöhung um 0 %.
Geben soll es eine Einmalzahlung von 1240 € im Juni und dann in den Monaten Juli bis Dezember jeweils 220 €. Zusammengerechnet eine Zahlung von 2 560 € für 2023.

Zum Vergleich:
Verdi forderte für 2023 monatlich mindestens 500 € mehr, also mindestens 6 000 € mehr im Jahr – das Ganze tabellenwirksam, also auch rentenrelevant und relevant für künftige Lohnerhöhungen.
Die Schlichtungsempfehlung sieht statt tabellenwirksamen 6 000 € für das Jahr 2023 gerade mal Einmalzahlungen von insgesamt 2 560 € vor.
Das sind etwas über 40 % der Forderung – wie gesagt allerdings nur als Einmalzahlung, Eine Lohnerhöhung gibt es demnach 2023 gar nicht.

So erübrigt sich die Frage danach, wer sich in der Schlichtungskommission durchgesetzt hat.

Und dann 2024
Alles andere – also die für nächstes Jahr vorgesehenen Erhöhungen – werden derzeit in Verdi Flugblättern so vorgerechnet und erläutert, dass auch das ein Hinweis darauf ist, dass sich Verdi voraussichtlich mit der Schlichtungsempfehlung zufrieden geben wird.
Januar und Februar nochmals Einmalzahlungen zu je 120 €, ab dem 1. März 2024 sollen dann die monatlichen Tabellenentgelte um einen Sockelbetrag von 200 Euro plus 5,5 Prozent erhöht werden. Wenn dabei keine Erhöhung um 340 Euro erreicht wird, wird der betreffende Erhöhungsbetrag auf 340 Euro gesetzt.
Und dann wird vorgerechnet, dass dies z.B. bei einer/m Müllwerker*in in der EG 3, Stufe 3 ein monatliches Plus von 357,34 Euro (13,43 Prozent) bedeuten würde, bei einer Pflegefachkraft in
der P8, Stufe 4 monatlich 400,66 Euro (11,62 Prozent).
Da werden von Verdi also die Einmalzahlungen einfach dazu genommen um auf eine scheinbare hohe prozentuale Erhöhung zu kommen. 11 bis 13 Prozent klingt ja nicht schlecht – tatsächlich sind es ab März 2024 gerade mal 200 Euro mehr als Sockel betrag und dann 5,5 Prozent Lohnerhöhung. Mehr ist es nun mal nicht.

Wir berichteten übrigens schon im November 2022 auf was es in der Tarifrunde wahrscheinlich herausläuft:
„Da hat die IG Metall eine ernüchternde Vorlage geliefert – aber nicht für uns. Abgesehen von einer Einmalzahlung steigen die Entgelte dort ab 1. Juni 2023 um 5,2 und ab 1. Mai 2024 um weitere 3,3 Prozent.
(…)
Man muss kein Prophet sein um schon jetzt vorauszusagen, dass mit dem Abschluss – egal ob auf IG Metall Niveau oder etwas höher – alle zufrieden sein werden, außer uns, den Betroffenen: Die Kommunalen Arbeitgeber, weil ihnen die lange Laufzeit von vermutlich 2 Jahren „Sicherheit und Planbarkeit“ gibt, und auch Ver.di, weil der Abschluss zumindest über den Abschlüssen der vorangegangenen Jahre liegen wird (das waren 1,4 % mehr ab April 21 und nochmal 1,8 % mehr ab April 2022). Damit hat dann die deutsche Sozialpartnerschaft wieder einen Erfolg.“

Und so geht es weiter
Zuletzt noch mal aus einer Verdi Veröffentlichung:
„Am Samstag wird sich zeigen, ob auf Basis der Schlichtungsempfehlung eine Einigung zustande kommt, die unsere Bundestarifkommission ö.D. zur Annahme empfehlen kann. In diesem Fall werdet ihr in einer Mitgliederbefragung nach eurer Meinung gefragt.
Sollte es zu keiner Einigung kommen, entscheidet ihr in einer Urabstimmung, ob ihr bereit seid, für unsere gemeinsame Forderung in einen unbefristeten Streik zu gehen. Auf beide Möglichkeiten bereiten wir uns weiterhin vor.“

Na dann – vielleicht ist doch noch nicht alles vorbei.
Dafür müssen die Mitglieder aber ein eindeutiges Votum abgeben.

Und im Dezember 2022 zitierten wir aus dem Roman „Gewitter über Pluto“ von Heinrich Steinfest:
„…
Es klang wie ein dummer Witz. Aber es war keiner.
So ist es häufig. Viele Dinge, die wie ein Witz daherkommen – etwa Tarifverhandlungen zwischen Leuten, die gewissermaßen miteinander im Bett liegen und auch dafür bekannt sind, daß sie das tun-, erweisen sich als ernstgemeint. Nie würde einer dieser sich lautstark oder unbeugsam gebenden Verhandlungsführer auf die Idee kommen, sich einmal hinzustellen und zu erklären, dies alles sei nur ein Kasperltheater: die nächtelangen Krisensitzungen, das aufgeregt Hin- und Hergefahre, das tagelange Okkupieren von Luxushotels, das Gequake bezüglich eigener Vernunft und fremder Unvernunft, die Streikdrohungen, ja die Streiks selbst, das Beleidigtsein, das Nachgeben, das Aufeinandertreffen in der Mitte, das Millimeter- und Promillegetue, dieses ganze Affentheater, das sich über Tage und Wochen zieht und das zwei versierte Sekretärinnen in fünf Minuten über die Bühne kriegen würden.
Die Dinge kommen als Witz daher. Aber wir lachen nicht. Wir nehmen alles ernst. So lange, bis es auch ernst ist.“

Aus der heutigen Sendung:

Tarifstreit im Öffentlichen Dienst erfolgreich befriedet

Null Prozent Lohnerhöhung 2023

Sechs Prozent Kaufkraftverlust bis Ende 2024 prognostiziert

Eine neue Sternstunde der deutschen Gewerkschaften. Mit so einer Führung wären die Auseinandersetzungen in Frankreich, Großbritannien oder anderen europäischen Ländern schon lange beendet oder es hätte sie gar nicht gegeben.
Nun, nur an der Führung liegt es wohl nicht. Denn fürs Wochenende ist ja nichts von Demonstrationen wütender und enttäuschter GewerkschafterInnen des Öffentlichen Dienstes bekannt, die ausdrücken könnten, dass die KollegInnen erkennen, was da gespielt wird.

Und so lief der Tarifstreit:
Zuerst waren viele angetan vom entschlossen wirkenden Auftakt.

Warnstreiktage
zuerst zusammen mit den Aktionen am Internationalen Frauentag,
dann zusammen mit der Bahn (der Mobilitätsstreik)
ließen manche von französischen Zuständen träumen. Aber nicht so hier.

„Geheime“ Schlichtung
Dann kam das von Verdi im Jahr 2011 mit beschlossene Schlichtungsverfahren.
An geheimem Ort, damit die Damen und Herren nicht von den einfachen Mitgliedern gestört werden, trafen sich jeweils zwölf Gewerkschafts- und ArbeitgebervertreterInnen mit je einem Schlichter.
Und es ist gelungen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass dabei fein austariert wurde, was den Gewerkschaftsmitgliedern gerade noch zugemutet werden kann.

Das Ergebnis ist bekannt:
Dieses Jahr:
Statt 10,5 % mehr Lohn, mindestens aber 500 € mehr im Monat gibt es null Prozent Lohnerhöhung, dafür Einmalzahlung von 1240 € im Juni und dann danach monatlich jeweils 220 €.
2024:
Einmalzahlungen im Januar und Februar zu je 120 €, ab dem 1. März dann die Erhöhung der monatlichen Tabellenentgelte um einen Sockelbetrag von 200 Euro plus 5,5 Prozent Lohnerhöhung.

Und jetzt kommt die Zeit der SchönrednerInnen
...mehr war halt nicht drin, wir müssen mehr werden, wir haben doch ein tolles Ergebnis usw.
Diejenigen, die bei den Warnstreiks die Parole vorgegeben haben „500€ mehr – auf die Tabelle“ werden nun erklären, dass Einmalzahlungen in gewisser Höhe doch auch nicht so schlecht seien. Gut, die Zuschläge werden dadurch nicht höher, die Rente auch nicht – all die Argumente, die vor der Schlichtung den GewerkschaftsvertreterInnen wichtig waren, werden nun von denselben Personen einfach ins Gegenteil verkehrt.
Oder die Parole „Ohne Streik – wird sich nichts verändern“, die ja richtig ist. Jetzt heißt die Rechtfertigung für die 180 Grad Wende: hätten wir denn mit Streik mehr erreichen können?
Oder statt zwölf Monaten Laufzeit, wofür die Forderung von Verdi in vielen Betriebs, Kreis, Land und Bundesversammlungen demokratisch aufgestellt worden war, nun eben 24 Monate, wofür es kein Mandat durch die Mitglieder gab.
Doch das fällt vielen aus der Gewerkschaft schon nicht mehr auf, denn „das war ja schon immer so“ und „man kann nicht alles durchsetzen“.
Argumente, die schwerlich zu widerlegen sind.
Ach ja, die Altersteilzeit ist auch weg.

Mit Speck fängt man Mäuse
Über den Hintergrund der Einmalzahlungen: Die Bundesregierung hatte es Arbeitgebern ermöglicht, bis zu 3000 € ihren Arbeitenden steuerfrei zu bezahlen – als Inflationsausgleich. Manche Arbeitgeber taten das auch. Die im Öffentlichen Dienst natürlich nicht. Die einmalige Möglichkeit die Einmalzahlungen mit den Tarifforderungen zu vermischen ließen sie sich nicht entgehen. Und mit diesem Abschluss zeigt Verdi, dass sie da mitspielen.
Sechs Prozent Kaufkraftverlust bis Ende 2024 (siehe unten) werden die Beschäftigten nun als Sonderopfer Krise, Krieg und Aufrüstung zu verkraften haben.
Aber, auch das werden wir hören, ohne Gewerkschaft wäre es noch viel schlimmer gekommen.
Und wenn man sich die SchönrednerInnen anhört weiß man auch warum es hierzulande keine gewerkschaftliche Mobilisierung gegen die Rente mit 67 gegeben hat. Ja, die Arbeitgeber wollen das einfach nicht, der Staat auch nicht, da kann man nichts machen, man kann nicht alles durchsetzen und immer noch besser als eine Rente mit 69 Jahren.
Zur Erinnerung: In Frankreich geht es um die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf
64 Jahre, aber dort kämpfen die Gewerkschaften.

Eine nüchterne und ernüchternde Zusammengefasst:
(aus der Augsburger Allgemeinen vom 23.04.23)
„Die Einigung im Tarifstreit im Öffentlichen Dienst ist eine Notlösung, die kurzfristig zwar den Arbeitskampf beendet, jedoch die grundlegenden Probleme nicht löst“, betonte Fratzscher [Sprecher des DIW, Deutsches Institiut für Wirtschaftsforschung].
„Die Einigung bedeutet durchschnittliche Lohnerhöhungen um circa elf Prozent für die Beschäftigten“, erklärte der Ökonom. „Positiv ist der deutlich stärkere prozentuale Lohnanstieg für Menschen mit geringen Löhnen, die allerdings auch eine deutlich höhere Inflation erfahren als Menschen mit hohen Löhnen“, sagte Fratzscher.
„Allerdings bedeutet dieser Tarifabschluss einen weiteren Verlust an Kaufkraft und Wohlstand für die Beschäftigten“, rechnete der DIW-Chef vor.
„Nach einer Inflationsrate von acht Prozent 2022, sechs Prozent 2023 und wohl circa drei Prozent 2024 werden die Löhne im Öffentlichen Dienst am Ende der Laufzeit circa sechs Prozent weniger Kaufkraft haben“, erklärte Fratzscher. „Dies bedeutet, dass es wohl mindestens noch weitere fünf Jahre dauern wird bis die Löhne im Öffentlichen Dienst diesen Kaufkraftverlust wieder aufgeholt haben und die Beschäftigten den Wohlstand haben, den sie 2021 hatten“, sagte der Ökonom. „Ich erwarte daher auch in den kommenden Jahren eine deutliche Zunahme der Arbeitskämpfe in Deutschland, auch im Öffentlichen Dienst“, fügte er hinzu.

Und so geht es weiter
Jetzt werden die Mitglieder befragt, dann entscheidet Verdi Mitte Mai über die Annahme des Ergebnisses.
Und in zwei Jahren heißt es dann wieder: Wir lassen uns nicht mit Einmalzahlungen abspeisen, zwölf Monate Laufzeit sind ohnehin gesetzt usw. ...und dann beginnt das Spiel von Neuem.

Eine Ausgabe der Sendung Inforedaktion: AG Weiße Fabrik.

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